„Die Kids als Experten anerkennen“
„Wir müssen reden“ über Gefahren von Bildschirmzeit von Kindern und Jugendlichen
Nach der Begrüßung durch AWO-Prokuristin Silke Rupietta machte Moderatorin Francine Fester (Bremen Next) gleich zu Beginn die Diskrepanz deutlich, der wir alle täglich ausgesetzt sind: „So ein Smartphone ist schon ein tolles Gerät. Aber wir müssen uns der Risiken und Gefahren bewusst sein – besonders im Interesse von Kindern und Jugendlichen.“
Das raubt Zeit für Dinge, die für die Entwicklung zwingend notwendig sind. Und das kann altersspezifisch langfristige Folgen haben.
Dr. Julia Kernbach
Wissenschaftlerin Dr. Julia Kernbach betonte, die Intensität des Themas reiße nicht ab und werde durch Künstliche Intelligenz (KI) noch weiter an Brisanz gewinnen. Sie zitierte mehrere Studien, aus denen eindeutig hervorgeht, dass Kinder und Jugendliche deutlich mehr Zeit an Bildschirmgeräten verbringen, als gut für sie ist: „Das raubt Zeit für Dinge, die für die Entwicklung zwingend notwendig sind. Und das kann altersspezifisch langfristige Folgen haben.“ Besonders bei Kleinkindern entstehen Bindungsstörungen, wenn die Eltern immer das Smartphone in der Hand haben.
Interessant sei, dass in einer Vodafone-Studie eine deutliche Mehrheit der befragten Jugendlichen angibt, sie würde gerne deutlich weniger Zeit an Smartphone und Tablet verbringen, wisse aber nicht recht wie sie das hinkriegen soll – ein deutlicher Hilferuf an Eltern, Lehrer*innen, Pädagog*innen.“ Eine weitere Untersuchung brachte das Ergebnis, dass Kinder, die im Unterricht ihre Handy-Benachrichtigungen konsequent abschalten, in Leistungstests – etwa beim Verständnis von längeren Texten - deutlich besser abschneiden. Dr. Kai Huter, Referentin für Arbeitsschutz und Gesundheitspolitik bei der Arbeitnehmerkammer, berichtet: „Auch Auszubildende haben häufig Schwächen im Textverständnis und Konzentrationsprobleme – das hören wir aus vielen Berufsschulen. Allerdings kann das nicht immer und zwangsläufig auf Mediennutzung zurückgeführt werden.“
Dr. Kernbachs Empfehlung lautet: „Eltern, Kita und Schule müssten auf Augenhöhe zusammenarbeiten und an einem Strang ziehen: So können wir Kindern und Jugendlichen eine ‚digitale Resilienz‘ für eine reale Zukunft mitgeben.“
Asyhan Sabili, Vorsitzende des Kreisjugendwerks der AWO Bremerhaven und beruflich als Erzieherin tätig: „Montags kommen die Jungen und Mädchen oft verstört in die Kita, weil sie am Wochenende zuhause zu viel Zeit am Handy verbracht haben. Meine Kolleg*innen und ich müssen das dann auffangen – mit Sprache, Spiel und Interaktion.“
Medienpädagoge Markus Gerstmann aus Bremen präsentierte sich als Anwalt der jungen Generation: „Erwachsene und Politik versuchen immer Jugendlichen zu sagen, wie sie zu leben haben – das hat noch nie funktioniert. Junge Menschen wollen wahrgenommen werden.“ Smartphone und Social Media, Apps, Videos – das sei einfach ein großer Teil der Jugendkultur und der jungen Lebenswelt. „Unser Job ist es, die jungen Menschen abzuholen und zu begeistern, mit ihnen gemeinsam partizipativ und erlebnisreich Möglichkeiten und Chancen für einen guten Umgang mit aktuellen Medien zu entwickeln – wir müssen die Kids als Expert*innen anerkennen“, betonte Gerstmann.
Alexandra Kanin leitet die Flexible Hilfe der AWO und weiß: „Familien, besonders diejenigen, die unsere Angebote wahrnehmen, haben mit vielen Problemen zu kämpfen und sind oft überfordert: Arbeitsbelastung, Bildung, Kindererziehung, soziale Situation, Armut – da kommt vieles zusammen.“ Übertriebene Mediennutzung sei nur ein kleiner Teil der Problemlage. Kanin: „Und wer kann es den Vätern und Müttern verdenken, wenn sie den Kleinen das Handy in die Hand drücken, um selbst etwas zur Ruhe zu kommen? Allerdings ist natürlich die Vorbildfunktion unheimlich wichtig.“ Ihrer Aussage, die Herausforderungen rund um Technologie und kindliche Entwicklung und Erziehung seien wohl nur in gesamtgesellschaftlicher Betrachtung und Anstrengung zu bewältigen, stimmen sowohl Podiumsredner*innen als auch Besucher*innen zu.




